Angst ist die preiswerteste Lebensversicherung, aber sie hält auch Grenzen dicht!

Grenzen überwinden heißt mit den Ängsten umzugehen

„Ängste habe ich nicht, denn immerhin bin ich Führungskraft!“ Na, heute schon gelogen?

Angst ist eines unserer Grundgefühle und gehört genauso zum Menschsein wie Schmerz, Trauer, Zorn, Liebe, sinnliche Lust und so vieles mehr. Wer keine Angst kennt, nicht einmal heimlich und im stillen Kämmerlein, sollte sich bitte umgehend in psychologische Behandlung begeben, denn dann stimmt etwas nicht. Angst ist unter den Emotionen eher unbeliebt. Außer beim Achterbahn fahren oder beim Horrorfilm gucken. Da ist so ein Nervenkitzel etwas, das viele von uns sogar aktiv suchen. Also wie unterscheidet sich die unschöne Alltags-Angst von ihrer kribbeligen Verwandten?

Die Antwort ist recht simpel: Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, von einem Axtmörder im Badezimmer überrascht zu werden? Und wie wahrscheinlich erscheint es Ihnen im Gegensatz dazu, im (Arbeits-)Alltag auf Ablehnung durch andere zu stoßen, nicht ernst genommen zu werden, mit Konflikten konfrontiert zu sein, zu versagen, allein zu sein, … Die Liste ließe sich sehr lang fortführen.
Angst ist nichts anderes als die Alarmanlage unseres Organismus, die uns vor Gefahren warnt oder besser: unser intrinsisches Frühwarnsystem. Denn das Problem mit Alarmanlagen ist, dass die Gefahr schon anwesend sein muss, damit diese auslösen. Der Einbrecher ist im Haus, das Feuer brennt, der Bankräuber steht mit gezückter Waffe am Schalter.
Unsere Angst funktioniert da besser und zugleich auch schlechter, denn das Gefühl der Angst bezieht sich meistens auf etwas Irreales, etwas das nicht ist, sondern nur möglicherweise sein könnte, passieren könnte, also ein in seiner Konsequenz vorweggenommenes negatives Erlebnis. Die Angst warnt uns vor Unbill und macht uns wach, um auf uns aufzupassen und zwar früh genug, dass wir noch die Chance zum Handeln haben. Das ist der Sinn der Angst. Eigentlich eine enorme Fähigkeit zum Selbstschutz. Und trotzdem unbeliebt.

Forscher glauben, dass es ein paar wenige Faktoren gibt, die über unseren Umgang mit Ängsten entscheiden. Zunächst einmal bringt jeder Mensch eine bestimmte Grunddisposition mit, wie sensibel die Gefahren-Antennen ausgebildet sind. Dann kommen kulturelle Einflüsse hinzu, die Prämissen unserer Erziehung und letzten Endes natürlich auch die gemachten Erfahrungen. Je nachdem wie dieser Cocktail zusammengesetzt ist, entsteht ein Mensch, der im Angesicht der Angst über sich hinauswächst oder aber schon bei kleineren Anzeichen von Gefahr das Weite sucht.
Angst kann lähmen, zur Erstarrung, zu einem Gefangensein ausarten und in ihrer Übersteigerung zu Panikattacken führen. Davor hat der Mensch zurecht Respekt. Und so haben wir schlauen Wesen eine ganze Reihe an Angst-Bewältigungs-Strategien entwickelt, die uns vor diesem unangenehmen Gefühl abschirmen sollen. Die Österreichische Philosophin Lisz Hirn fasst es schön zusammen: „Angst macht Grenzen und hält sie dicht!“
Tja, und dann haben wir den Salat. Wenn die Grenzen erst dicht sind, kommt nix mehr rein und es geht auch nichts raus und es wird auch nicht mehr groß abgewägt. Dicht ist dicht. Nur was ist die Alternative? Alle Ängste in den Wind schießen, Augen zu und durch? „Et hätt noch immer jot jejange“, spricht der Kölner. Allerdings ertrinken trotzdem jedes Jahr mehrere Menschen im Rhein. Die wussten das wohl nicht.
Begrenztheit ist ein Allgemeinzustand des Menschen. Begrenztheit im Wissen, Können, Tun und auch im Dürfen. Das wird sich niemals ändern. Auch nicht, wenn Sie alle unsere persönlichkeitsentwickelnden Seminare besuchen (was Sie aber natürlich trotzdem tun sollten).

In unserer Leistungsgesellschaft wird das Überschreiten eigener Grenzen gerne gefeiert. Hier eine Auswahl unserer „liebsten“ Kalendersprüche zum Thema:

► Wer etwas will, findet Wege, wer nicht will, Ausreden

► Shoot for the moon! If you miss you’ll still be among the stars

► Uns halten nur die Grenzen, die wir uns selbst setzen

► Sei Pipi, nicht Annika

Was für ein Blödsinn! Die eigenen Grenzen zu ignorieren ist ungefähr so intelligent, wie die roten Warnleuchten im Auto zu überkleben, weil die so nerven. Angst möchte ernst genommen werden, weil sie auf ein mögliches Problem, eine reale Gefahr hinweisen könnte. Wenn du das stärkste Mädchen der Welt bist, einen Gaul mit einer Hand hochheben kannst und einen Koffer voll Gold mit dir herumschleppst – bitte, sei Pipi! Wenn nicht, um Himmelswillen, mach es wie Annika und zaudere was das Zeug hält, bevor du dich mit stadtbekannten Gangstern anlegst.

Der Wagnisforscher Siegbert A. Warwitz beschreibt acht Verhaltensmuster im Umgang mit Angst: Vermeidung, Bagatellisierung, Verdrängung, Leugnung, Übertreibung, Generalisierung, Heroisierung und schließlich die Bewältigung. Angst zu bewältigen bedeutet, sich realistisch mit ihr auseinanderzusetzen, quasi eine persönliche SWOT-Analyse anzustellen und sich über das eigene Skillset, Risiken und Nebenwirkungen, Gewinnchancen und eben auch die eigene Begrenztheit klar zu werden. 
Oftmals sind Grenzen gedachte Hürden, an die ich fest glaube, ohne jemals ein Beweiserlebnis gehabt zu haben. Die Grenze erscheint als ein Monster, vor dem ich mich fürchte. Gegen Monster hilft aber bekanntlich am besten, das Licht einzuschalten und genau hinzusehen. Was sind meine Grenzen und sind sie tatsächlich da wo ich sie vermute? Sind sie unveränderlich, unverrückbar? 

In der Rückschau sind Menschen immer wieder überrascht, wenn sie feststellen, dass sie etwas geschafft haben von dem sie vorher gedacht hätten, dass sie es niemals fertigbringen werden. Dann haben sie das Beweiserlebnis, dass die eigene Grenze eben nicht dort liegt, wo man sie vermutet hat. Das kommt sicher nicht jeden Tag vor, aber wenn Sie zurückdenken ist es Ihnen auch schon passiert. Persönlichkeitsentwicklung nennt man das!
Meist sind es gefühlte oder tatsächliche Zwangslagen, in denen ich meinen ganzen Mut zusammennehme und mich nach vorne begebe, auf unbekanntes Terrain und ausprobiere ob ich es nicht irgendwie hinkriege. Wäre es nicht vernünftig, sich schon vorher mit den eigenen Grenzen auseinanderzusetzen und diese zu überprüfen? Das würde allerdings bedeuten, die eigenen Ängste ernst zu nehmen, sich weder von ihnen einzwängen zu lassen, noch sie kleinzureden. „Dort wo die Angst ist, geht es lang“, heißt es in der Psychotherapie und auch in der Persönlichkeitsentwicklung. Je pro-aktiver ich damit umgehe, desto sicherer werde ich, desto größer wird mein Handlungsspielraum. Klingt doch eigentlich ganz gut. Oder?