Darwin als Pate einer postpandemischen Wirtschaft?

Gern wird er zitiert, der Herr Darwin, wenn es darum geht, das aktuelle Betriebesterben zu verarbeiten. So ist sie halt, diese Welt. Oder etwa nicht?

Evolution bedeutet einen gnadenlosen Kampf um die Existenz, den nur die Tüchtigsten überleben. Hieraus ergibt sich ganz natürlich der Kampf des Einzelnen auch in der innerbetrieblichen Intrigenkultur (kann halt nur einen Chef geben), das Ausrotten der „untüchtigen“ Unternehmer durch Insolvenz (selbst schuld, wer keine Rücklagen bildet) und das Auffressen der Kleinen durch die Großen und Starken der Branche (Netzwerkeffekt, liebe Leute). Oder etwa nicht?

Wenn man sich die postpandemische Wirtschaft, gleich ob Gastronomie, Handel oder Industrie, so ansieht, feiert die Darwinistische Grundidee zurzeit ein wahres Fest. Marktbereinigung nennt man das lapidar, was näher betrachtet persönliche Schicksale sind. Der Staat hat bekanntermaßen viel zur Abhilfe geleistet und so manch heftige Einbußen gemildert. Aber dennoch haben es viele nicht geschafft.

Überträgt man den Darwinismus auf die Geschäftswelt, auf die Ebene der  Organisation, dann stelle man sich eine Firma vor, in der jeder gegen jeden kämpft. Eine Kultur in der Konfrontation, Aggressivität und Intrige zu den Normalwerten des innerbetrieblichen Zusammenarbeitens gehört. Wie erfolgreich wäre dieses Unternehmen wohl auf Dauer am Markt? „Nicht doll!“ werden Sie jetzt sagen – stimmt! Ein solches Unternehmen braucht keine Kunden, um sich die Zeit zu vertreiben. Die sind sich selbst genug. Kreative, unabhängige Persönlichkeiten haben in einem solchen Klima schlichtweg keine Lust, sich das Leben schwer zu machen. K2 ist gefragt. Kommunikation und Kooperation.

Die Biologin Lynn Margulis fand heraus, dass der Grundbaustein des Lebens, die einzelne Zelle, auf der Basis von Kommunikation und Kooperation beruht. Mitochondrien, die Energie-Lieferanten der Zelle, waren – so ihre Theorie – ursprünglich eine eigene Lebensform. Erst die Zusammenarbeit zwischen Mitochondrien und der Zelle machte unsere Entwicklung möglich. Zusammenarbeit und miteinander reden als Urbaustein der Entwicklung, ein echter Darwinist muss hier Mord und Brand schreien.

Aber Margulis ist nicht allein. Der russische Graf Pjotr Kropotkin erkannte durch seine Tierbeobachtungen bereits um 1900, dass bei besonders widrigen Lebensumständen nicht Rivalität, sondern gegenseitige Hilfe, also Kooperation das Überleben der Arten im kalten Sibirien gewährleistet.

Wäre das nicht auch eine sinnvolle Lesart für die Wirtschaft? Bei widrigen Lebensumständen wie zurzeit, zusammen zu arbeiten, statt sich dem Fressen und gefressen werden hinzugeben? K2 zu praktizieren, zu kooperieren und miteinander zu kommunizieren, statt sich als Unternehmer allein gegen den Untergang zu stemmen? Wenn jemand ein Geschäftsmodell entwickelt und feststellt, dass er oder sie das allein nicht durchsetzen kann sondern Partner, Mitarbeiter dazu braucht, dann ist die Zusammenarbeit im Unternehmen eine tragende Säule für den Markterfolg. Nur über Kommunikation und Kooperation kann das Unternehmen erfolgreich sein.

Jetzt ist die Zeit innerbetriebliche Veränderungen einzuleiten, voneinander zu lernen, sich als Unternehmer zur eigenständigen Marke zu entwickeln. Jetzt ist die Zeit reif, Traditionen zu überprüfen, Hierarchien zu hinterfragen, Konzepte auf Zukunftsgehalt zu untersuchen und sich den Marktveränderungen zu stellen.

„Struggle for existence“? Ja, können wir derzeit vielerorts beobachten. „Survival of the fittest“? Definiere „fit“. Wenn wir Darwins Erkenntnisse verkürzen auf „Sei stark, ganz gleich, wen es kostet!“, haben wir der fortschreitenden Oligopolisierung der Märkte nicht viel entgegenzustemmen. Wenn wir aber „fit“ interpretieren als Anpassungsfähigkeit auf widrige Umstände, dann ist K² das Mittel der Wahl: Miteinander reden und arbeiten, egal ob intern, im Kunden- und/oder Lieferantenverhältnis oder innerhalb einer Anbieterstruktur.

Ist aber gar nicht so einfach, die Sache mit der Kooperation. Die setzt Vertrauen voraus. Auch nicht so einfach, denn Vertrauen setzt Kontakt voraus und Kontakt war nicht unbedingt das Leitmotiv der letzten zwei Jahre. Wobei, ist das wirklich nur ein pandemisches Thema?