Was kann eine Kick-off-Veranstaltung wirklich leisten?

Ein Missstand im Unternehmen wird erkannt, sinnvollerweise ein Veränderungsprojekt beschlossen, das nun vor der Umsetzung steht. Was muss her? Zunächst ein erfolgreiches Kick-Off. Ganz klar. Aber was ist ein wirklich erfolgreiches Kick-Off?

Landläufig versteht der Mensch unter Kick-Off ein Präsenz-Treffen aller Beteiligten, die bei der Umsetzung Verantwortung tragen sollen. Je umfangreicher das Projekt, desto mehr Menschen sind im Raum. Teams werden zusammengestellt, Ziele und Inhalte verkündet, Termine gemacht und dann wünscht der Projektleiter gutes Gelingen. Ende des Kick-Offs. Das Kick-Off als rationale Organisationsveranstaltung. Sehr effizient. Aber wie sieht es mit der Effektivität aus?

Was aber ist mit dem Irrationalen, das nun einmal jedem Menschen innewohnt? Was ist mit den Ängsten, Zweifeln, Befürchtungen, Widerständen und dem Beharrungsvermögen der Beteiligten? „Wenn noch Fragen sind, meine Tür steht immer offen“, sagt der Projektleiter. Thema bearbeitet? Wohl kaum.  Schade eigentlich!

Wenn wir irrational sagen, dann meinen wir nicht unrealistisch. Dass die meisten Menschen Veränderungen erst einmal zögerlich gegenüberstehen ist ein völlig natürliches und oftmals sinnvolles Verhalten. Wir sind nun einmal keine reinen Vernunftwesen, sondern maximal teilzeitvernünftig. Das weiß jeder, der schon einmal verliebt war oder Immanuel Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten gelesen hat.

Veränderungsprojekte greifen immer in bestehende Systeme ein und Systeme haben immer das radikale Bestreben, sich selbst zu erhalten; auch auf die Gefahr hin, inadäquat zu sein. Eine systemische Veränderung benötigt Unmengen von Energie. Erst recht dann, wenn sie nachhaltig sein soll. Das Kick-off ist die Chance, Momentum zu kreieren, Schwung zu holen für die anstehenden Anstrengungen. Klingt das für Sie nach dem richtigen Moment für eine rationale Organisationsveranstaltung?

Akzeptiert man die bekannten Phasen der Veränderung, dann müsste sich auch ein Kick-Off daran orientieren:

Die Teilnehmer des Kick-Offs befinden sich fast immer im Bereich des Schocks oder in der Phase des Festhaltens. Noch bis zur Einsicht sind die Teilnehmer emotionalisiert und meistens auf Widerstand gebürstet. Wo Emotionen sind, hat die Vernunft keinen Platz! Das ist nicht nur in der Liebe so sondern auch bei Veränderungsprozessen.

Kommen wir noch einmal auf Kant und die Metaphysik der Sitten zurück. Auf recht komplizierte Weise leitet er her, dass sich ein jeder so verhalten solle, dass sein Verhalten ein allgemeines Gesetz werden könne. Der berühmte Kategorische Imperativ. Das sei Vernunft. Allerdings, so sagt er auch, muss der Mensch sich zur Vernunft entscheiden. Er muss sie wollen. Und Wollen ist eine Sache des Gefühls.

Warum designt man Kick-Offs dann nicht teilnehmerzentriert, sondern themenzentriert?

Am Anfang des Kick-Offs müsste die glühende Rede des Auftraggebers stehen, der die Menschen mit einer überzeugenden Vision mitnimmt auf dem Pfad in unbekanntes Terrain. Ein begeisterndes Statement wie die Welt sein könnte, mit der sich die Menschen identifizieren, um Aufbruchstimmung zu erzeugen, einen Sog nach Veränderung. Im Kick-Off müsste Platz und Raum sein für emotionale Fragen an die Teilnehmer:

  • Was sind Deine Befürchtungen, Ängste, Einwände?
  • Wo stehst Du grade und was sind deine Bedürfnisse?
  • Wo liegen für Dich die Klippen auf dem Weg zur Veränderung und wie könnten wir sie meistern?
  • Wie können wir zusammen Einsicht und dann ein Loslassen bei allen Betroffenen erreichen?
  • Wie könnte unsere interne Kommunikations- und Marketingstrategie dahingehend aussehen?

Erst dann, wenn alles für die Teilnehmer emotional Wichtige thematisiert und Lösungen gefunden worden sind, werden die Teams zusammengestellt.

Und nun setzen sich die Teams hin und arbeiten von Anfang an effektiv und wirkungsvoll zusammen? Willkommen im Wunderland! Das ist ungefähr so wahrscheinlich wie das Zusammenstellen einer Fußballmannschaft zur Weltmeisterschaft, die zwar allesamt Alleskönner am Ball sind, aber nie vorher zusammengespielt und -trainiert haben und von denen man dann den Finaleinzug erwartet.

Wer sich jemals mit Gruppendynamik beschäftigt hat, der weiß von den Entwicklungsstadien einer Gruppe als Naturgesetz.

Egal ob agil oder klassisch gesteuert, gerät jede Gruppe spätestens in der Konfliktphase (Storming) aneinander. Wieder Emotionen im Überfluss! Da spielt die inhaltliche Arbeit nur noch insofern eine Rolle, als dass sie missbraucht wird, um sich auseinanderzusetzen und die Rangfolge in der Gruppe zu klären. Das gilt auch für Gruppen, in denen ein neues Mitglied auftaucht oder nur ein altes Mitglied ausscheidet, sich die Ausrichtung ändert oder sonst ein äußerer Impuls das Gefüge durcheinanderbringt. Das ist selbst bei hochtrainierten Gruppen nicht anders. Auch hier steht die Emotion vor der Vernunft.

Das einzige Mittel dagegen ist wiederum, der Emotion Raum zu geben und die ersten drei Gruppenphasen zu moderieren. Die Teilnehmer durch das Storming zu begleiten damit sie eben nicht die Inhalte missbrauchen müssen. Nur das spart Zeit. Der „Geheimtipp“ ist Teamentwicklung. Jede der zusammengestellten Gruppen durchläuft ein zweitägiges Training mit einem entsprechend ausgebildeten Trainer, um Beziehungen zu klären und die Performing-Phase möglichst schnell durch intensive Beziehungsklärung zu erreichen. Vorher ist die Lust auf Veränderung maximal mäßig. Wenn Sie Glück haben.

Die Erkenntnis ist nicht neu. Kant feiert in Kürze seinen 300. Geburtstag. Als nur zum Teil vernunftbegabte Wesen müssen wir wollen. Das heißt, Aufgabe des Kick-offs, Hauptaufgabe der Projektverantwortlichen ist es, Wollen zu ermöglichen. Und das wiederum geht nur über die Emotion: ein Gefühl von Zugehörigkeit, Wahrgenommen werden, beteiligt sein, Vertrauen können, sich mit der eigenen Unbehaglichkeit angesichts der Veränderung gut aufgehoben fühlen. Nur dann gibt es eine Chance auf Umsetzung und Projektzielerreichung.

All dies müsste Teil des Kick-offs sein. Klingt nicht mehr effizient? Vielleicht. Aber effektiv!