Das Delegationsprinzip oder

Warum gute Chefs nicht alles selbst machen (sollten)

Wenn du willst, dass es richtig gemacht wird, mach es selber.

Bis ich dem das erklärt habe, hab ich’s dreimal selbst fertig.

Nein, also das muss ich nun wirklich noch selbst erledigen.

 

Diese und ähnliche Sätze sind der Endgegner der Delegation – und gleichzeitig der Grund, warum viele Führungskräfte abends erschöpft am Schreibtisch sitzen, während ihr Team pünktlich Feierabend macht. „Da musst du delegieren!“, wissen erfahrene Fachexperten und wohlmeinende Laien, doch eben das scheint gar nicht so einfach zu sein.

Wird jemand vom Mitarbeiter zur Führungskraft befördert (die Grammatik lässt uns schon erahnen, dass es sich hierbei meist um einen passiven Prozess handelt, man wird befördert), dann geziemt es sich, zu gratulieren. Aber wozu wird da gratuliert? Mehr Prestige, klar. Mehr Geld? Oft. Eigener Parkplatz auf dem Firmengelände? Nicht mehr en-vogue. Vor allem bedeutet die Beförderung mehr Arbeit, mehr Stress, mehr Verantwortung. Eigentlich sollten wir lieber von Umschulung sprechen. Würde mehr Sinn ergeben, denn die Führung von Menschen und Organisationen ist ein eigenständiger Beruf. Gut, den Teil mit der Schulung lassen viele weg. Dann wäre es nur noch eine Um. Auch doof. Außerdem würde das nahelegen, dass der Mensch jetzt etwas anderes arbeitet. Das geht aber haarscharf an der Realität der meisten vorbei: Führungskraft sein bedeutet zu oft: 100 % operative Auslastung und Führungsaufgaben on top. Herzlichen Glückwunsch!

Ohne konsequentes Delegieren ist der Führungsalltag schlicht nicht zu bewältigen. Er wäre auch nicht sinnvoll, denn Delegieren ist kein notwendiges Übel, sondern eine der stärksten Fähigkeiten, die du als Führungskraft entwickeln kannst, mehr noch, Delegation ist DIE zentrale Führungsaufgabe. Sie zeigt, dass du deinem Team vertraust, und gibt dir die Möglichkeit, dich auf das zu konzentrieren, was tatsächlich nur du tun kannst. Sie schafft Zeit für strategische Aufgaben, für Nachdenken, Vordenken und Durchatmen, fördert dein Team und verbessert langfristig die Ergebnisse.

Wissenschaftliche Studien zeigen: Führungskräfte, die effektiv delegieren, steigern die Produktivität ihres Teams signifikant. Laut einer Studie des Harvard Business Review (2020) führen klare Delegationsstrategien zu einer bis zu 33% höheren Effizienz in Teams. Und noch ein Pluspunkt: Delegation fördert die Eigenverantwortung und Motivation der Mitarbeitenden, was laut Gallup eine entscheidende Rolle für Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung spielt. Seit Deci und Ryan wissen wir, dass Menschen motivierter sind, wenn sie Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit erleben. Indem du Aufgaben abgibst, bietest du deinem Team Autonomie. Durch Feedback stärkst du deren Kompetenz, und durch gegenseitiges Vertrauen förderst du die soziale Eingebundenheit.

Klingt doch eigentlich alles ganz gut, oder? Warum halten sich obengenannte Sätze dann derart hartnäckig?

Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen, die sich leider auch noch zum Gutteil gegenseitig stabilisieren. Gehen wir mal die drei Ebenen der Kooperation durch:

  1. Sachebene: Häufig werden die besten Fachkräfte zu Führungskräften ernannt. In dem Fall ist das mit der Delegation so eine Sache. Vor allem, wenn der Kunde/das Projekt/die Aufgabe kritisch/wichtig/dringend ist. Das wiederum ist es doch eigentlich immer, oder? Wahrscheinlich ist man selbst dann tatsächlich „der/die Beste“ für die Aufgabe, mit den bekannten Konsequenzen. Überspitzt: einer reibt sich auf, die anderen kommen nicht voran und verlieren die Lust.
  1. Organisationsebene: Hier regiert die Macht der Gewohnheit. „Das habe ich doch immer gemacht, also mache ich es einfach weiter.“ Die Idee zur Delegation kommt gar nicht, weil sie nicht gewohnt, nicht geübt ist. Die Konsequenz bleibt dieselbe wie oben beschrieben.
  1. Beziehungsebene: Hier kommen wir an die wirklich haarigen Themen. Es geht um Vertrauen, um Kontrolle und die Angst vor Kontrollverlust, um Anerkennung und Wertschätzung, darum gebraucht zu werden, Dinge zu wuppen. Für manche mag es auch darum gehen, sich vor der neuen Autorität zu drücken, die sich seltsam anfühlt, oder davor, um Unterstützung zu bitten, eine vermeintliche Schwäche zuzugeben.

Um das Ganze noch ein wenig zu verkomplizieren, greifen diese Mechanismen nicht nur auf Seiten der Führungskraft, sondern auch auf jener der Mitarbeitenden, allerdings mit gegenteiligem Ergebnis. Hier führen sie dazu, dass eine versuchte Delegation misslingt, etwa indem gnadenlos rückdelegiert wird: Mein Chef kann das besser/hat mehr Erfahrung. Ich bin an diese Aufgabe nicht gewöhnt/mag sie nicht/weiß nicht so recht. Ich fühle mich unsicher. „Och nee, Chef, mach du das ruhig. Du kannst das so gut.“ Und schon haben wir den Status quo ein Stückchen mehr in Beton gegossen. Schon hat Chef ein imaginäres Äffchen mehr auf der Schulter, um das sich zu kümmern ist. Schon haben beide eine Chance auf Entwicklung verpasst.

Was also tun? Augen auf und durch! Führung übernehmen ist für alle ein Lernprozess. Der lässt sich nur meistern, indem man es tut. Hier einige Tipps zum Gelingen:

  1. Wähle die richtige Person aus.
    Delegation ist kein Glücksspiel. Überlege, wer im Team die nötigen Fähigkeiten hat – oder wer sie entwickeln sollte. Natürlich muss Delegationswille auf Delegationsfähigkeit treffen. Diese zu erreichen ist dein Job!
  1. Kommuniziere klar.
    „Mach mal“ ist keine Anleitung. Gib deinem Teammitglied alle nötigen Informationen: das Ziel, den Zeitrahmen, die Erwartungen – und ja, auch, wie du Erfolg definierst und misst.
  1. Vertraue und lasse los.
    Nein, du musst nicht jeden Schritt kontrollieren. Gib deinem Team die Freiheit, die Aufgabe auf ihre Weise zu lösen. Es ist okay, wenn der Weg nicht genau so aussieht wie deiner – solange das Ergebnis stimmt.
  1. Sei erreichbar.
    Delegieren heißt nicht, sich unsichtbar zu machen. Biete Unterstützung an, aber lass deinem Team den Raum, selbst Entscheidungen zu treffen.
  1. Gib Feedback und zeige Wertschätzung.
    Fehler sind Lernchancen. Gib konstruktives Feedback und erkenne an, wenn etwas gut gemacht wurde. Es stärkt nicht nur die Motivation, sondern auch die Beziehung zu deinem Team.
  1. Setz dich nicht unnötig unter Druck.
    Führung ist ein Beruf. Den darf man lernen. Und auch das funktioniert am besten NICHT im Alleingang.
    Wir unterstützen gern 😉

Wenn du dich also das nächste Mal erwischt, bei dem Gedanken: „Das dauert zu lange, wenn ich es erkläre“, denk langfristig: Wenn die Person es einmal verstanden hat, sparst du dir beim nächsten Mal viel Zeit. Wenn du heimlich denkst: „Die machen das eh nicht so gut wie ich“, übe dich in Demut. Wenn du sie lässt, machen sie es irgendwann vielleicht sogar besser. Das mündet dann vielleicht in „Ich verliere die Kontrolle“. Ja, das mag sein. Vielleicht ist es an der Zeit Kontrolle durch Vertrauen zu ersetzen. Wenn du deinen Job als Führungskraft ernst nimmst und gut machst, dann kennst du deine Leute, weißt, wem du was anvertrauen kannst und sie sprechen mit dir, bevor Katastrophen passieren. Das ist der Wert von Teamarbeit. Vor allem in unserer heutigen schnelllebigen und volatilen Welt, in der es nur noch selten Richtig und Falsch gibt. Vertrauen ist die Basis jeder guten Zusammenarbeit. Die Basis für Vertrauen sind Mut und gemeinsame Erfahrungen.

Ein guter Chef ist nicht derjenige, der alles selbst macht, sondern der, der andere befähigt, Großes zu leisten. Alles andere ist ein Egotrip und schlechterdings Diebstahl, wenn die Führungskraft ihren Mitarbeitenden die Arbeit wegnimmt. Stell dir mal einen Dirigenten vor, der dem Bläser im Konzert die Tuba wegreißt, weil er selbst schneller/besser/schöner spielen kann. Unvorstellbar! Sein Job ist es, die einzelnen Musiker zum Glänzen zu bringen, das Ganze zu organisieren und so das Beste aus dem Stück herauszuholen. So ist es auch in deinem Job als Führungskraft. Du bist dafür da, deine Mitarbeitenden glänzen zu lassen. Dafür musst du sie befähigen und ihnen Verantwortung übertragen, ihnen zutrauen mit ihren Aufgaben zu wachsen und dich trauen dein altvertrautes Terrain loszulassen.

Also, trau dich: Gib die Aufgaben ab, die dich nicht voranbringen, und fokussiere dich auf das Wesentliche. Dein Team wird es dir danken – und du dir selbst auch.