Hier war ich doch eben schon!?
Vom Kreislauf im Gedankenlabyrinth
Die alten Ägypter hätten noch was lernen können von unseren Gedanken-Gängen. Vollendet verzwickt und vertrackt führen da manchmal schnurgerade erscheinende Wege spiralförmig in die Sackgasse, enden unvermittelt über bodenlosen Fallgruben oder an strahlenden Portalen, die uns – oh weh – doch wieder nur an den Ausgangspunkt zurückführen. Ich weiß genau, wohin ich will und sogar noch viel besser, wo ich nicht hinwill. Ich weiß auch, wie ich das machen muss oder müsste, aber ich komme meinem Ziel irgendwie nicht näher und trete auf der Stelle. Ich drehe mich im Kreis, umgeben von Schildern, auf denen drohende Konsequenzen von Veränderungen stehen: Geht nicht weil…! Konsequenzen die ich nicht will.
Es gibt Wege, die nicht sinnvoll erscheinen, zu wenig sinnvoll erscheinen, unnötig erscheinen, zu steinig, zu blumig, zu steil, zu gerade, zu viele. Und es gibt Wege, bei denen ich meine Angst spüre. Ähm, nein, nicht Angst – das hatten wir doch auch schon mal – rationale Bedenken haben wir und wie die rational sind! Sehr vernünftig. Die meisten von uns sind hervorragend darin, zwingende Gründe zu (er-)finden, warum wir uns unseren Ängsten nicht stellen sollten. Die Ratio bestimmt, der Bauch rebelliert. Passieren tut nichts. Und dann wieder diese Gedanken. Ich müsste doch… Ach verdammt, ich dreh mich im Kreis!
Der Mensch lässt sich als eigenständiges, geschlossenes System beschreiben, in dem die Energie, die Gedanken und Gefühle wie in einem Perpetuum mobile endlos im Kreise umherschwirren. Natürlich ist dabei keiner von uns wirklich ganz dicht. Wir alle sind bedingt durch unsere Umwelt, die Erfahrungen, die wir in ihr gemacht haben und aus denen wir unsere angesprochenen Konsequenzen-Schilder zu zimmern pflegen. Schlechte Erfahrungen grenzen mich ein, gute geben mir Antrieb. Jede Wahrnehmung läuft dabei allerdings durch meine ganz individuellen Filter. Was in meinem Bewusstsein ankommt, ist nicht etwa ein naturgetreues Abbild der Realität, sondern meine Version davon, mein eigenes Gebilde. Ich selbst bin es, der meine Erfahrungen als gut oder schlecht eingeordnet hat und der aufgrund dieser Einordnungen seine Schlüsse gezogen hat. Mit der Zeit baue ich mir ein mentales Modell, nach dem ich mich ganz automatisch richte und das zu hinterfragen mir gar nicht einfiele.
Es ist also vielmehr so, als seien wir ein Wasserkreislauf, in den immer neues Wasser hineingepumpt wird. Wohl dem, der ein funktionstüchtiges Überlaufventil besitzt. Das Phänomen des Gedankenkreisens, des endlosen Wiederkäuens von Ideen und Sorgen, ist tief in unserer psychologischen Struktur verwurzelt. Oft entsteht er aus einem Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit. Unser Verstand sucht auf Hochtouren nach einer Lösung für ein Problem und verharrt dabei in einer Schleife der Reflexion, kommt wie der durchdrehende Reifen nicht vom Fleck. Ständiges Hinterfragen und Analysieren lähmt. Jeder potenzielle Lösungsweg wird von neuen Fragen und Zweifeln überschattet. Ich schlage lieber die Tür zu, schließe zweimal ab und schmeiße den Schlüssel zum Fenster hinaus. Ohne mir dessen bewusst zu sein.
Schluss mit der Schwarzmalerei. „Keinen Ausweg aus der Misere zu kennen, bedeutet nicht, dass es keinen Ausweg gibt“, weiß Erhard Schümmelfeder und der Volksmund fügt hinzu, man müsse nicht alles wissen, sondern nur, wo es steht, bzw. wen man danach zu fragen hat.
Ein Coach oder Berater könnte da vielleicht helfen? Jemand, der mir sagt, was ich tun soll, der mir Lebenshilfe angedeihen lässt? Jemand der genau den Ausweg doziert, den er oder Sie an meiner Stelle nehmen würde und mir haarklein erklärt, was, wie zu tun ist? Bleibt nur ein Problem: Er oder sie ist nicht an meiner Stelle!
Aus unserer Sicht ist ein guter Coach nichts von dem gerade Beschriebenen, sondern ein neutraler Begleiter, der uns hilft, unsere Gedanken zu ordnen, neue Blickwinkel einzunehmen und unsere Ziele zu klären, die Muster unseres Denkens zu erkennen und die Energie, die wir in das Grübeln investieren, auf konkrete Ziele und Handlungen zu lenken, uns aufzumachen für neue Ideen.
Keiner von uns ist ganz dicht – und das ist gut so. Im gesunden Organismus sind Input und Output in stetigem Ausgleich. Kontakt nennen wir das. Ich brauche jemanden der mich zum Reden bringt, jemanden, der mir zuhört. Denn nur wer redet, kann sich selber hören. Kennen Sie dieses Phänomen? In meinem Kopf hat es gerade noch Sinn ergeben, aber kaum gehe ich mit einem Gegenüber in Kontakt und höre mich selbst sprechen, fallen mir plötzlich Ungereimtheiten auf, die ich vorher nicht gesehen, gefühlt, gehört habe. Mein System öffnet sich – und zwar zu zwei Seiten. Aus Retroflexion – alles mit mir selbst ausmachen – wird Reflexion – die Auseinandersetzung im Kontakt – wird Motivation – Energie, die auf ein Ziel gerichtet ist. Paralogismen und Automatismen zeigen sich, werden hörbar und fühlbar, damit bewusst und korrigierbar. Ich kann neue Wege erkennen, mir selbst helfen und mein System öffnen, Schlüssel finden für zugefallene Türen. Deshalb ist der Einwand, den wir immer wieder hören, wenn es darum geht, sich Unterstützung von Coaches, Beratern oder auch Therapeuten zu holen, man wisse ja eigentlich selbst, was zu tun sei, am Thema vorbei. Wenn es darum geht, dieses Wissen als Coach herzustellen, ist man bei uns falsch. Wenn es darum geht, das vorhandene Wissen in Taten umzusetzen, dann sind wir im Thema. Prinzipiell kann diese Aufgabe auch ein wohlmeinender, geduldiger und bescheidener Freund erfüllen. Jeder, der gut zuhören und „naive“ Fragen stellen kann. Nur haben die Menschen in unserem Umfeld in der Regel eine Meinung zu unseren Problemen oder einen eigenen Anteil daran. Sie haben Ansprüche an uns, die mit einer Veränderung vielleicht nicht vereinbar wäre. Ziel von Coaching ist Klarheit, ist persönliches Wachstum und ein gestärktes Selbst-Bewusstsein in allen Schattierungen seiner Bedeutung.
Ein geschätzter Kollege von uns, Christian Badura, pflegt zu sagen: „Wenn du nicht weißt, welchen Weg Du nehmen sollst oder willst, schau nach, auf welchem Weg die Angst sitzt. Dort geht es lang.“ Wie gut können Sie es aushalten, wenn jemand, der Ihnen nahesteht, Angst erlebt? Die meisten von uns sind sehr schnell dabei, zu trösten und Angst, Verwirrung, Ärger und all die anderen als negativ erlebten Gefühle eher zuzudecken. Den Grund dafür nennt man Empathie, die Fähigkeit, sich in die Gefühlswelt des anderen hineinzuversetzen und die ist eine großartige Fähigkeit. Allerdings verpufft bei der Abwehr von Gefühlen leider auch die dringend benötigte Antriebsenergie.
Ein Coach, der mit mir und meinem Alltag nichts weiter zu tun hat, der therapeutisch gut ausgebildet ist und seinen eigenen geistigen „Saustall“ ins Selbst-Bewusstsein gerückt hat, ist in der Lage, den Raum zu halten, so wie er eben ist: mit allem Wirrwarr und seelischen Morast. Darin liegt unsere eigentliche Aufgabe, mehr als im Auffahren verschiedenster Techniken, Modelle und Tools.
Was für den Einzelnen gilt, das gilt auch für Teams, gilt auch für ganze Organisationen: Alle nicht ganz dicht, alle lebende Organismen mit allem Für und Wider. Quasi ein Spiegelbild meiner selbst - nur noch komplizierter.
Wenn ich alle Zusammenhänge in einem durchschnittlich großen Team von zehn Menschen, alle Fähigkeiten, Abhängigkeiten, Unzulänglichkeiten, Paralogismen, Automatismen, Konflikte, Meinungen, Gefühle, Werte, Regeln und Normen in Form von kleinen Rädchen aufmalen und aneinander basteln würde, kein Konzertsaal der Welt würde ausreichen, dieses riesige Gebilde zu beherbergen. Und wenn ich an einem Rädchen drehe, drehen sich alle anderen mit und das in verschiedene Richtungen. Niemand kann voraussagen was dabei herauskommt. Unternehmer oder Führungskräfte, die behaupten: „Ich habe meinen Laden im Griff!“ Sind sich der wahren Komplexität desselben nicht bewusst. Wer kann denn schon ernsthaft behaupten, sich selbst zu hundert Prozent im Griff zu haben, mit allem Wissen, Denken, Fühlen, Wollen und Tun? Und wenn das bei einem Individuum schon nicht geht, wie soll es dann in ganzen Organisationen gehen?
Auch im Zusammenhang mit Organisations- und Teamentwicklung gilt: Vorsicht, wenn Ihnen einer sagen will, wie es geht. Wenn es auf die Frage nach der richtigen Organisationsstruktur eine korrekte Antwort gäbe, würden sich dann wirklich so viele Unternehmen immer wieder mit Reorganisationen beschäftigen? Schon irgendwie ein makabres Hobby. Die Struktur einer Organisation ist abhängig von den Menschen und ihrer Zusammenarbeit. Die Menschen und ihre Zusammenarbeit sind abhängig von der Struktur der Organisation. Beide sind Henne und Ei zugleich. Was den Unterschied macht, ist der Kontakt und der lässt sich von außen manchmal besser wiederentfachen als von innen. Das Geheimnis erfolgreicher Teams ist schnell ausgeplaudert. Es heißt Dialog statt Diskussion, kreativ sein dürfen, gegenseitige Wertschätzung und reflektive Offenheit leben. Und siehe da, plötzlich tut sich eine Türe auf. Vielleicht führt sie an den Anfang zurück. Und wenn schon? Auch dort haben wir sicher noch nicht alles wahrgenommen, was da ist.