Wir wollen wachsen!

Höher, schneller, weiter, mehr? Da sind doch ein paar Zweifel angebracht.

Wir wollen Wachsen!

Höher, schneller, weiter, mehr? Da sind doch ein paar Zweifel angebracht.

„Darf ich eine Erdbeere haben?“, fragt der kleine Junge im Garten die Oma. „Nein“, sagt Oma „die müssen erst reif werden.“ Der Junge guckt auf seine Schuhe, atmet dreimal geduldig ein und aus. „Sind sie jetzt reif?“
Süß oder? Wie Kinder die Welt sehen, voller Enthusiasmus und Ungeduld. Und dann werden sie irgendwann erwachsen. Sicher? An diesen kleinen Jungen, der anonym bleiben möchte, muss ich jedes Jahr im Dezember wieder denken, wenn ich mit Kunden, Freunden und Bekannten spreche, die im Sales tätig sind. Closing, Closing, Closing heißt es da. Umsätze müssen dringend noch in dieses Jahr gepackt werden. Dann ist die Erdbeere halt noch etwas grün, Hauptsache geerntet.

Nur zu oft ist unser Augenmerk auf kurzfristiges Wachstum ausgerichtet. Umsatzwachstum, Wachstum der Rendite, Wachstum des BIP, Mitarbeiter-Zuwachs, Wachstum der Produktionszahlen. Wir wollen wachsen, denn wer wächst, dem geht es gut. Klingt ein bisschen wie bei Janosch: Komm Tiger, wir finden einen Schatz!
Die Sache ist nur die: Jeder Schatz der gefunden werden kann, wurde vorher verloren (oder versteckt, aber wenn ihn dann wer anders ausgräbt, ist er aus Sicht des Versteckenden ja auch verloren.)
Etwas intellektueller drückt es der Aphoristiker Peter Hohl aus: „Die Erde ist ein geschlossenes System, in dem es kein Wachstum geben kann. Jedes Atom muss irgendwoher kommen und am Ende wieder irgendwohin gehen.“ Was heißt das für unsere Wachstumswünsche? Stoßen wir tatsächlich gerade an die Grenzen des Machbaren? Was wollen wir denn eigentlich wirklich, wenn wir von Wachstum reden?

Wolfgang J. Reus hat einmal gesagt: „Wirtschaftsfachleute: Sie reden von Wachstum und meinen den eigenen Geldbeutel!“ Ja, jetzt dürfen wir alle einmal beschämt zu Boden gucken. Sein wir doch ehrlich, unterm Strich geht es genau darum. Natürlich wollen wir mit dem Mehr an Geld viele tolle Dinge tun, klar. Sichere Arbeitsplätze schaffen, mehr in Mitarbeiter investieren, alles nur noch Bio kaufen, den Kindern was bieten… und gegen ein bisschen Luxus ist auch nichts einzuwenden. Nee, ist nix gegen einzuwenden. Allerdings verlieren wir allzu oft aus dem Blick, was wir wirklich benötigen, verwechseln brauchen mit begehren und blenden aus, was unser Wachstum eigentlich bedeutet, bzw. welcher Preis dafür fällig wird.
Vor kurzem hat mich eine Corona-Infektion erwischt. Krank und übellaunig lag ich auf dem Sofa und wollte mich von einer hübschen Doku berieseln lassen. Meine Wahl fiel auf den Netflix-Titel „Bildschöne Welt“ – der Titel ist absolut irreführend. Begleitet werden Fotografen, die über soziale Missstände, Kinderarbeit, Öko-Katastrophen etc. aufklären. Plopp – da platzt die schöne Wohlfühl-Bubble westlichen Wohlstands. Unser Wachstum hat beides: Grenzen und Konsequenzen. Und wir haben das unfassbare Glück, beides nur ansatzweise tragen zu müssen. Meine Tochter (bzw. Enkelin, denn wir schreiben diesen Artikel zusammen) sagte erst kürzlich zu mir: „Manchmal fühle ich mich schlecht, dass ich ein Mensch bin. Wir sind das größte Problem dieser Welt.“ So viel Weisheit mit gerade einmal 8 Jahren. „We can’t recycle our way out of this“ warnt der WWF und hey, haben Sie in letzter Zeit mal versucht, auf echtem Schnee Skifahren zu gehen? Viel Glück.

Wir wollen jetzt ganz sicher keine Lanze für Klimakleber brechen oder irgendein Verständnis für das Beschmieren von Kunstwerken äußern, und doch gibt die neu heranwachsende Generation Hoffnung auf Umdenken. Paradoxerweise nährt sich diese Hoffnung aus Hoffnungslosigkeit:
Wir wissen mittlerweile, dass die gerade berufstätige Generation keine Chance mehr hat, den Wohlstand ihrer Elterngeneration zu übertreffen. Wachstum ausgereizt.
Wir wissen, dass wir nicht in der Lage sind, noch mehr Zeit und Energie in unsere Erwerbstätigkeit zu investieren und dabei immer individualistischer auf Rollenzuschreibungen und Familienbande zu verzichten. Wachstum ausgereizt.
Wir wissen, dass die klimatischen Veränderungen nicht nur eine übertriebene Greenpeace-Kampagne sind, sondern tatsächlich stattfinden, aufgrund unseres Raubbaus an der Natur. Wachstum ausgereizt.
Generation Z – gern belächelt als eine Mischung aus anmaßender Faulheit und zeigefingerschwingendem Idealismus – scheint eine neue Definition des Begriffs Wachstum auf den Markt zu bringen: Qualität statt Quantität, besser statt mehr. Das ist doch eigentlich nichts Neues! Haben wir wohl nur vergessen. Irgendwie. Irgendwann.

Ist die vierteljährige Verlautbarung von CEO dass das Unternehmen wiedermal Zuwachs an Umsatz und Ertrag zu verzeichnen hat (was sich auf Aktienwert und Tantiemen angenehm auswirkt) tatsächlich ein Erfolg? Wachsen die Organisation und die Mitarbeiter qualitativ gleichzeitig mit oder werden auch hier über immer komplexere Organisationsstrukturen und gestresste Mitarbeiter:innen, die im Burnout landen, nur Verbräuche von Ressourcen produziert?
Peter Hohl erzählt in diesem Kontext von seiner Großmutter, die wohl nie auf die Idee käme, jede Woche ein Glas Einmachobst mehr aus dem Keller zu holen als in der vorangegangenen und sich über ihr Einmachobstwachstum zu freuen.
Wir brauchen mehr Kommunikation in unserem Unternehmen. Also wird die Zahl der Meetings und der E-Mails erhöht. Hat denn niemand zugehört wie die Mitarbeiter:innen die Meetings zu 90 % uninteressant und überflüssig finden?
Ist es den Führungskräften entgangen das sich die Mitarbeiter:innen über die unglaubliche E-Mail-Flut beschweren, wobei sie sogar selbst davon betroffen sind? Rechnen Sie einmal zusammen was an Gehaltssumme dabei herauskommt, wenn Sie die Zeit aller Mitarbeiter:innen zusammenzählen, die bei der Bearbeitung von überflüssigen Mails pro Jahr entsteht. Wäre da nicht weniger mehr?
Wäre in all diesen geschilderten Fällen nicht Qualität sinnvoller als Quantität? Ist es nicht eher die primäre Aufgabe für Führungskräfte für Qualität zu sorgen statt für Quantität? Ja!

Wie viele Seminare braucht ein Mitarbeiter zur Qualitätsverbesserung? Zwei Tage Druckbetankung,  Softskill-Seminare im Vortragsmodus und der Mitarbeiter lernt fürs Leben? Sicher nicht. Nachweislich geht die Transferleistung der angesprochenen Themen gegen Null. Aber die Firma kann sagen, dass sie viel für die Mitarbeiterförderung tut.
Qualität würde bedeuten, lieber weniger, dafür langfristigere Seminare. Seminare im erfahrungsorientierten Stil, sodass sie nicht mit Wissen vollgepumpt werden sondern sich um Können, Wollen und Tun kümmern. Am besten noch mit einem Transfer-Prozess im Nachgang.
Alle vier Wochen zwei Stunden Retro? Jetzt mal ehrlich, machen Sie das? Sind dann alle da und vor allem dabei? Wird wirklich über Wichtiges gesprochen? Oder beschäftigen Sie sich auch überwiegend damit, virtuelle Post-its auf einem Seestern zu verteilen und sich zu überlegen, welches Wettersymbol Sie heute sind? Es könnte Sie erstaunen, was bei einer 3-tägigen Teamentwicklung alles zutage kommt und wie nachhaltig der Effekt echter Konfliktklärung ist.
Wie wäre es mit weniger operativer Arbeit für Führungskräfte und mehr Zeit für deren tatsächliche Führung? Ein Team auszubilden, das wirkungsvoll zusammenarbeitet. Zielsetzungsgespräche mit allen Mitarbeiter:innen alle drei Monate mit der Vereinbarung realistischer Ziele, im Präsens formuliert so als wenn das Ziel bereits erreicht wäre und versehen mit einer Maßnahmenplanung.
Mitarbeitergespräche alle 3 Monate auf der Basis eines aussagefähigen Mitarbeiterbeurteilungssystems in dem konkret die geforderten Verhaltensweisen beschrieben und das erreichbare Optimum dargestellt ist, mit einem anschließenden Maßnahmenplan zur individuellen Entwicklung, wobei 90 % der Maßnahmen on-the-job stattzufinden haben. (Ja, das sagen wir als Trainingsinstitut!) Dafür ist die Zeit gut investiert.

„Und was hast du jetzt vor“, hat mich, Jennifer, eine Bekannte gefragt, als klar wurde, dass ich bei Nötges + Partner einsteigen werde „willst du die Firma deiner Eltern richtig groß machen?“
Richtig groß machen. Was soll das bedeuten? Mehr Umsatz? Mehr Trainingstage? Mehr Teilnehmer oder Themen? Oder mehr Mitarbeitende? Ich weiß es nicht. Ich habe auch keine Lust, darüber nachzudenken. Das, was wir haben, ist mir groß genug. Manchmal sogar mehr als das.

Die Qualität in den Mittelpunkt zu stellen statt die Quantität ist gefordert. Und was ist mit den Erträgen?
Ertrag entsteht von ganz alleine wenn die Qualität der Dienstleistung, der Produkte, der Führungskräfte und der Mitarbeiter erstklassig ist. Davon sind wir überzeugt.